Digitale Gottesdienste – Kairos zur erneuerten Predigt

Ein Diskussionsimpuls von Dr. Helmut Schwier, Professor für Neutestamentliche und Praktische Theologie

Online vorgetragen am 16. Oktober 2020 beim ersten Workshop der Reihe: Digital – parochial – global?! Ekklesiologische Perspektiven im Digitalen. Eine Kooperation mit der Forschungsstätte der Evangelische Studiengemeinschaft, der Evangelischen Akademie der Pfalz und der Evangelischen Akademie im Rheinland.

Prof. Helmut Schwier: Digitale Gottesdienste

Im Mittelpunkt dieses Workshops standen Veränderungen bei Gottesdienst, Liturgie, Verkündigung

Zu seinem Diskussionsimpuls hat Professor Helmut Schwier 13 Thesen formuliert, die einen Weg von der analogen Predigt hin zu neuen digitalen Predigitformen und die Chance der neuen Predigtformen skizzieren:

These 10: Digitale Gottesdienste, die mediale Transformationen wagen, sollten auch neue Predigten wagen. Diese Predigten sind kurz (2-5 Minuten), ähnlich wie im Radio, jedoch vielfältig in der Form, sie integrieren Wort, Musik, Bild und sie erhoffen und fördern lebendige Interaktivität.

These 13: Obwohl ich selbst aus der Tradition liberaler und hermeneutischer Theologie komme, gewinne ich zunehmend die Einsicht, dass wir in den Predigten durch Angebote immer neuer religiöser Deutungen nur deren Vagheit und Zufälligkeit vermehren. Digitale Gottesdienste bieten, gerade weil sie eigentlich nicht religionsaffin sind, die Chance, Gottes Wort so an- und zuzusagen, dass das Reden von Gottes Frieden, seiner Liebe und Gerechtigkeit die Welt nicht bestätigen, sondern verändern will. Das braucht Prediger*innen, die auf die Floskeln verzichten und mit Gott in ihrem Leben und in der Diesseitigkeit der Welt rechnen.

Zur Person:
Professor Dr. Helmut Schwier  studierte evangelischen Theologie in Bethel und Heidelberg. Nach der Promotion war er als Gemeindepastor und Wissenschaftlicher Assistent an der Kirchlichen Hochschule Bethel tätig, bevor er Kirchenrat in der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union (EKU) in Berlin und Geschäftsführer des Sekretariats der Leuenberger Kirchengemeinschaft (heute: Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa) wurde. Seit 2001 ist Helmut Schwier Professor für Neutestamentliche und Praktische Theologie an der Universität Heidelberg. 2003 wurde er in das kirchliche Amt des Universitätspredigers gewählt und vom Landesbischof berufen. Im Jahr 2005 übernahm er die Leitung der in den 1970er Jahren von Rudolf Bohren gegründeten Predigtforschungsstelle. Im selben Jahr erreichte er ihre institutionelle Verankerung als „Abteilung für Predigtforschung“ innerhalb des Praktisch-Theologischen Seminars der Theologischen Fakultät. Als neue Forschungsschwerpunkte haben sich mittlerweile neben der Frage nach ethischer und politischer Predigt die empirische Erforschung der Predigtrezeption sowie die Dokumentation der Heidelberger Universitätspredigten und -prediger etabliert.

Zum Thema der Workshopreihe:
Leib Christi, Institution, Unternehmen, Verein, Netzwerk, Gemeinschaft der Heiligen – die Vorstellungen davon, was Kirche ist und was sie sein könnte, waren schon immer vielfältig, widersprüchlich und strittig. In der evangelischen Tradition ist Kirche dort, wo „das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden“ (CA VII).

Angesichts steigender kirchlicher Online-Aktivitäten und Netzwerke gerade angesichts der außerordentlichen Herausforderungen durch die pandemiebedingten Einschränkungen des analogen kirchlichen Lebens stellen sich viele Fragen neu und dringlicher: Wo, wer oder was ist eigentlich Kirche? Wo und wie wird gepredigt und werden die Sakramente gereicht? Wie verändert sich das religiöse Bewusstsein? Wie stehen die unterschiedlichen Formen von Offline- und Online-Kirche zueinander? Was verändert sich, wenn die „Zirkulation des religiösen Bewusstseins“ auch im digitalen Raum in Gang kommt? Was heißt „Priestertum aller Gläubigen“? Wie viel Professionalität, Ordnung und Hierarchie sind nötig?

Die Workshopreihe greift diese ekklesiologischen Fragen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis auf. Praktiker*innen, Wissenschaftler*innen und Kirchenleitende kommen in drei Workshops über diese Fragen miteinander ins Gespräch.